Donnerstag, 29. Januar 2009

CERN-Störfall doch gravierender

Der Störfall am Teilchenbeschleuniger CERN ist nun doch schwerwiegender, als anfangs vermutet. Die Reparaturarbeiten am Large Hadron Collider (LHC) werden länger dauern und deutlich mehr kosten. Die Anlage wird den Experimentatoren erst wesentlich später zur Verfügung stehen als ursprünglich geplant.

Bei dem Unfall am 19. September letzten Jahres war die Zerstörungskraft des schnell verdampfenden Heliums so gross, dass tonnenschwere Magnete gegeneinander versetzt und die Verbindungen schwer beschädigt wurden. Derzeit demontiert man 53 dieser Magnete und bringt sie ans Tageslicht empor. 30 Dipolmagnete und 9 Quadrupolmagnete sind so stark beschädigt, dass sie ersetzt werden müssen; den Rest hofft man reparieren zu können. Diese Arbeiten werden sich bis in den Frühsommer hineinziehen; danach will man mit der Heliumabkühlphase beginnen, für die 6 Wochen angesetzt sind. Das fehlerhafte Bauteil, welches zu der ganzen Panne führte, ist leider beim Unfall verdampft. Die Evidenz ist damit vernichtet.

Unumgänglich ist die sicherheitstechnische Nachrüstung des LHC. Ein spezielles Sensorsystem soll nun die elektrischen Widerstände zwischen den Magneten überwachen. Dafür sind allein 2.000 zusätzliche Schaltschränke und 160 Kilometer Kabel erforderlich. Des weiteren soll die Zahl der Sicherheitsventile erhöht werden, um bei ähnlichen Störfällen den Druck des verdampfenden Heliums schneller abbauen zu können. Am Ende dieser Massnahmen wird der gesamte Querschnitt der Ventile um den Faktor 40 höher sein als bislang.

Diese Massnahmen kosten viel Zeit und Geld. Niemand spricht mehr von der Wiederinbetriebnahme im Frühjahr diesen Jahres; stattdessen wird der Betrieb bei voller Energie frühestens im Jahr 2010 aufgenommen werden können. Auch die Mehrkosten wird man nicht aus den Einsparungen künftiger Budgetjahre - also quasi zum "Nulltarif" - schultern können. Sie werden derzeit (vorsichtig) auf mindestens 26 Millionen Euro abgeschätzt. Im übrigen ist CERN schon jetzt nicht unwesentlich "verschuldet". Für Mehraufwendungen unter dem früheren Generaldirektorat hat man Kredite aufgenommen, welche in den Jahren 2010 und 2011 aus dem Normalbudget zurückgezahlt werden sollten. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Auch die F&E-Arbeiten für LHC-Upgrade, um die Luminosität des Beschleunigers zu erhöhen, hängen finanziell in der Luft.

Zur Jahreswende erfolgte bei CERN ein Chefwechsel. Der Deutsche Rolf-Dieter Heuer löste seinen Vorgänger, den Franzosen Robert Aymar als Generaldirektor ab. Schon kurz darauf musste Heuer bei der Wissenschaftskommission des Schweizer Nationalrats (vergleichbar dem Deutschen Bundestag) Rede und Antwort stehen. Er überraschte mit der Nachricht, dass er den LHC von auswärtigen Experten überprüfen lassen wolle. Das ist sicherlich eine richtige Entscheidung und hätte bei einer Anlage, die drei Milliarden Euro kostet - vergleichbar mit einem grossen Kernkraftwerk - schon viel früher erfolgen müssen. Immerhin ist diese Maschine, schon wegen ihrer schieren Grösse, in der Lage sich selbst zu zerstören - sei es, dass der Protonenstrahl vom Kurs abkommt oder die Kühlung des superflüssigen Heliums versagt. Bei voller Energie besitzt der Strahl ungefähr soviel Energie wie ein Auto bei 1.600 Stundenkilometer. Die in den Ablenkmagneten gespeicherte Energie wäre ausreichend, um 50 Tonnen Kupfer zu schmelzen.


Im Grunde besteht das Unternehmen CERN aus zwei Teilen: aus dem eigentlichen Beschleuniger LHC samt Vorbeschleuniger und Quelle sowie aus vier riesigen Detektoren, von denen jeder so gross ist wie ein Mehrfamilienhaus. Diese Detektoren - mit den schönen Namen ALICE, ATLAS, CMS und LHCb - können erst wirklich getestet werden, wenn der Protonenstrahl störungsfrei seine Runden dreht. Auch organisatorisch sind diese beiden Teilprojekte weitgehend getrennt. Professor Heuer ist nur für den Kreisbeschleuniger samt Infrastruktur zuständig; die Detektoren werden gebaut und betrieben von der sog. "Kollaboration". Darunter versteht man die ca. 2.700 Personen, welche verschiedenen Hochschulen und Forschungszentren weltweit angehören und die man im weitesten Sinne als "Experimentatoren" bezeichnen könnte.


Zur Struktur der Kollaborationen äusserte sich Heuer so: "Der Sprecher hat keine direkte Weisungsbefugnis auf Professor X vom Institut Y; das funktioniert alles nur durch gegenseitiges Verständnis und durch die gleiche Motivation." Die CERN-Mitarbeiterin Frau Knorr-Cetina ergänzt: "Wie in einem Bienenstaat, so ist auch hier der Einzelne nichts; vollbringen können sie ihr grosses Werk nur im Kollektiv."


Ich bin da skeptisch. Schwarmintelligenz mag bei Fischen und Bienen funktionieren, im Anlagenbau ist diese Organisationsform noch nicht erprobt. Veröffentlicht wird trotzdem bereits im Kollektiv. Auf der Autorenliste der CERN-Publikationen stehen alle 2.700 Namen - fein säuberlich aufgelistet nach dem Alphabet. Sollte das Stockholmer Kommittee demnächst diesem Kollektiv (statt, wie bisher, Einzelpersonen) einen Nobelpreis verteilen, so könnte sich jeder Forscher an rund tausend Euro erfreuen.


Den insgesamt rund zehntausend "Cernianern" ist der Störfall gewaltig auf die Stimmung geschlagen. Im Besonderen gilt dies für die Nutzer, die Experimentatoren. Eine ganze Reihe von Doktoranden wollten ihre Dissertation mit Daten aus dem LHC- Betrieb abschliessen, die sie nun nicht mehr oder nur mit grosser Verzögerung bekommen können. Bei einer Veranstaltung der Physikprofessoren der Karlsruher Universität im städtischen Rathaus war dies deutlich zu vernehmen. Am Managementstil des verflossenen Generaldirektors Robert Aymar wurde ganz unverblümt Kritik geübt.

Es sind eine Reihe von Dingen, die man Aymar anlastet und die auch offen in Schweizer Zeitungen (wie dem "Sonntag") zu lesen sind. So habe er einen autoritären Führungsstil gepflegt und die Mitarbeiter nicht in seine Überlegungen und Entscheidungen eingebunden. An der Kommunikation habe es vorallem gefehlt; die Cernianer hätten sie betreffende Neuigkeiten häufig erst aus den Zeitungen erfahren. ( Das soll gelegentlich auch in deutschen Forschungszentren vorkommen.)

Im technischen Bereich wirft man Aymar vor, dass er die Qualitätskontrollen sträflich vernachlässigt und zudem die Mannschaft unter hohen Zeitdruck gestellt habe. Die Presse mutmasst, er habe sich mit der Einweihung des LHC noch während seiner Amtszeit ein "pompöses Denkmal" setzen wollen.

Nun so ist es eben im Leben, wenn der General keine Fortüne hat:
jeder schlägt auf ihn ein.
Einer, indes, tut das wohl nicht:

Sarkozy wird Aymar nicht zum Ritter der Ehrenlegion schlagen.

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