Sonntag, 4. Oktober 2009

Die Büchse der Pandora ist geöffnet.

Physiker sind eigenartige Gesellen; sie sind immer bestrebt, ihr an sich riesiges Fachgebiet so klein wie möglich zu machen. Während sich die Maschinenbauer an ihren dickleibigen Formelwerken (wie dem "Dubbel") erfreuen und die Chemiker stolz auf den 20-bändigen "Gmelin" verweisen, scheinen die Physiker vom Reduktionswahn besssen zu sein. Dabei sind sie in ihrem faustischen Bestreben "zu erkennen was die Welt, im Innersten zusammen hält" bereits weit voran gekommen.

Seit Albert Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie entdeckt hat, kann man damit unser Universum und die Schwerkraft recht gut beschreiben. Und den Mikrokosmos, die Welt der Atome und der restlichen drei Kernkräfte, hat Max Planck mit seiner Quantentheorie enthüllt und seine Nachfolger bauten sie zur sog. Standardtheorie aus. Aber zwei Theorien sind den Physikern eben eine zuviel, weil sich damit die Schwerkraft (auch Gravitation genannt) sowie die schwache, starke und elektromagnetische Kraft nicht unter einem einzigen Dach vereinigen lassen und weil es noch ein halbes Dutzend Phänomene gibt, die man mit der Standardtheorie nicht gut erklären kann.

In diese Bresche springt die "Stringtheorie", an der weltweit seit etwa vierzig Jahren herumgeknobelt wird. In ihr sind die elementaren Bausteine des Universums nicht punktförmige Elementarteilchen, wie Protonen oder Elektronen, sondern schwingende Saiten
(engl. "strings") von winziger Länge. Je nach der Art ihrer Schwingung repräsentieren sie unterschiedliche Elementarteilchen. Die Stringtheorie besitzt ein überragendes Potential. Mit ihr glauben die Physiker eines Tages alle Phänomene unseres Universums vorhersagen und erklären zu können und in wenigen, vielleicht sogar in einer einzigen Gleichung, mathematisch beschreiben zu können. Die "Weltformel", der Traum aller Physiker wäre entdeckt.

Aber die von den Physiker herbei gesehnte Fundamentaltheorie auf der Basis von Strings zeigt Konsequenzen, die überraschend, unverständlich, ja furchterregend sind. So fordert die Stringtheorie aus mathematischen Konsistenzgründen, dass die Welt aus neun Raumdimensionen und einer Zeitdimension bestehen muss. Für uns Menschen erkennbar sind aber nur Länge, Breite und Höhe sowie die Zeit, welche die Physiker üblicherweise zu denvier Raumzeitdimensionen zusammenfassen. Aber das ist noch nicht alles. Gemäss der Stringtheorie gibt es nicht nur ein einziges Universum - das Unsrige - sondern deren viele, ja unermesslich viele. Der Abschätzung nach sind es 10 hoch 100, vielleicht sogar 10 hoch 1000 Welten, von denen wir umgeben sind. Das ist weit mehr als die Zahl der Atome in unserem Universum! Jede dieser Parallelwelten soll andere Eigenschaften besitzen als unsere eigene. Jede ist mit anderen Elementarteilchen angefüllt und wird von anderen Kräften dirigiert. Und die Stringtheoretiker vermuten, dass nur in wenigen dieser Universen "Menschen" existieren, die wie wir Fragen nach der Struktur "ihrer Welt" stellen.

Fürwahr, mit dieser Theorie haben die Physiker die "Büchse der Pandora" geöffnet. Der Weltgeist ist entfleucht und hundert neue Fragen und Probleme werden sichtbar.

Aber noch stehen die Verfechter der neuen Theorie unter heftiger Kritik. Man wirft ihnen vor, weniger rationale Physik als dubiose "Metaphysik" zu betreiben und Behauptungen aufzustellen, die sie nicht begründen, beziehungsweise durch Experimente erhärten können. Eine Theorie ist nach bisherigen Vorstellungen aber nur dann etwas wert - darauf hat schon der Philosoph Karl Popper (1902- 1994) hingewiesen - wenn ihre Konsequenzen auch falsifizierbar sind. Deshalb bemühen sich die Stringforscher derzeit, die wichtigsten Folgerungen ihres Theoriengebäudes zu erläutern und zu "beweisen".

So stellt man sich die genannten sechs räumlichen Extradimensionen als ein sehr, sehr kleines räumliches Gebilde vor. Sie sind nach einem Fachwort der Physiker "kompaktifiziert", unbeobachtbar klein, besitzen aber trotzdem enorme Bedeutung. Übertragen auf unsere Welt ist ein Blatt Papier zwar dreidimensional, erscheint aber (auf erstem Blick) nur als zweidimensionale Ebene. Und ein dünner Spaghetti scheint sogar ein lineares Objekt zu sein, obwohl er ebenfalls drei Dimensionen besitzt. Die Stringtheoretiker lesen aus ihren Gleichungen heraus, dass je nach der Art der Kompaktifizierung die Universen mit unterschiedlichen Elementarteilchen ausgestattet sind.

Die Vielzahl der parallelen Welten ist zwar verwirrend, ermöglicht aber gleichzeitig zwei immer wieder gestellte Fragen der Astrophysik elegant zu beantworten. Die eine Frage ist, warum unsere Naturgesetze gerade die Gestalt haben, die wir beobachten. Und die weitere Frage ist, warum die etwa zwei Dutzend Naturkonstanten (z.B. die Lichtgeschwindigkeit) unseres Universums so fein abgestimmt sind, dass sie Leben in unserer Welt ermöglichen - jedoch bei geringfügiger Veränderung ihres Zahlenwerts dieses Leben unmöglich machen würden, ja vielleicht sogar den Aufbau von Sternen und Galaxien.

Die Stringtheorie gibt darauf folgende Antwort: Wenn es (nahezu) unendlich viele verschiedene Welten gibt, in denen unterschiedliche Naturgesetze gelten und unterschiedliche Naturkonstanten versammelt sind, dann muss es auch eine geben - nämlich die Unsrige - in denen unser "Gesetzes-und Konstantenfenster" verwirklicht ist. Unser eigener Kosmos muss also nicht ein (von einem "Schöpfer") fein abgestimmtes "Kuriosum" sein, sondern ist zwangsläufig eine der vielen Lösungen der Stringgleichungen.

Die Gesamtheit der Welten sehen die Stringforscher in einem vieldimensionalen "Hyperraum" versammelt. Übertragen auf unsere dreidimensionale Welt ist dies eine "Landschaft", bestehend aus Ebenen, Tälern und Bergen. Die Universen schweben, Ballonen gleich, darin in verschiedenen Höhen umher, entsprechend der Grösse ihrer "Vakuumenergie". Das ist eine kosmologische Grösse, welche man (entfernt) mit der potentiellen Energie vergleichen kann. Die Vakuumenergie unseres eigenen Universums ist messbar; sie ist relativ niedrig, weswegen man unsere Welt in einer Talposition vermutet. Aber die Universen können ihre Position verändern. Möglicherweise war der Urknall - die Geburt unserer Welt - nur der Übergang von einem Zustand höherer Energie in ein energetisches Tal.

Die Stringphysiker sind sich bewusst, dass sie ihre theoretischen Vermutungen (zumindest in Teilen) verifizieren müssen, wenn sie von den ausserhalb stehenden Kollegen akzeptiert werden wollen. Erste Vorbereitungen dafür treffen sie am Genfer Teilchenbeschleuniger LHC, welcher derzeit (nach einer Panne) repariert wird. Abschätzungen zufolge müsste die Energie des LHC ausreichen, um Stringteilchen zu erzeugen und nachzuweisen. Diese Experimente stehen übrigens im Zusammenhang mit der Erzeugung Schwarzer Minilöcher und werden von einigen Umweltschützern heftig kritisiert. Auch die Kosmologen können einzelne Aspekte der Stringtheorie testen, etwa durch die Analyse der Hintergrundstrahlung sowie durch Experimente zu den (heftig gesuchten) Gravitationswellen.

Psychologisch gesehen, haben die Naturwissenschaftler der Menschheit in den vergangenen Jahrhunderten allerhand zugemutet. Stand der Mensch früher mit seiner Umgebung "im Mittelpunkt der Welt", so ist er seit Beginn der Neuzeit sukzessive abgerutscht. Zuerst vertrieb ihn Nikolaus Kopernikus aus dem Zentrum des Universums, dann stiess ihn Charles Darwin ins Tierreich zurück. Über unser eigenes Sonnensystem wissen wir inzwischen, dass es sich nur in einer unbedeutenden Randposition der Milchstrasse befindet. Und nun kommen noch zu allem Überfluss diese Stringforscher und behaupten, dass unser Weltall nicht einzigartig ist, sondern nur eines von sehr vielen anderen.

In die Abfolge dieses Niedergangs passt es nachgerade, dass Familienministerin Ursula von der Leyen und ihre Vorgängerinnen uns Männer vom Familienoberhaupt zum einfachen Familienmitglied degradiert haben.



Nachschrift:
"Davon habe ich noch nichts gemerkt".

Brigitte Marth

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