Sonntag, 10. Oktober 2010

ITER: Köpfe rollen, Deutschland bleibt Zahlmeister

In gut drei Jahren - seit Vertragsabschluss - sind die Kosten des Fusionsprojekts ITER um mehr als das Dreifache gestiegen, nämlich von anfangs 5 Milliarden Euro auf nunmehr 16 Milliarden. Gleichzeitig ist das Jahr der Inbetriebnahme von 2015 auf 2026, also um 11 Jahre nach hinten gerückt. Diese Zahlen haben in allen Partnerländern einen Schock ausgelöst, insbesondere in Deutschland, dessen Beitrag (ca. 10 Prozent) bei Euratom in Brüssel integriert ist.

Schavan redet Tacheles

Die zuständige Bundesforschungsministerin, Frau Annette Schavan, sprach ganz offen von "Missmanagement und Planungspannen", aber sie getraut sich (noch) nicht, das Projekt in Frage zu stellen. Bei einer Serie hektischer Besprechungen in ihrem Ministerium - bei denen sich zeitweise auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel einschaltete - verständigte man sich vorab auf folgendes Vorgehen, wie inzwischen durchgesickert ist:

Der Weiterbau des ITER innerhalb des neuen Kostenrahmens wird (zähneknirschend) akzeptiert, aber man fordert von der Lenkungsbehörde Euratom, dass sie die Mehrkosten durch Einsparungen bei anderen EU-Projekten finanziert. Diese generelle Zusage ist allerdings mehrfach konditioniert. So erwartet Schavan "Verbesserungen" bei der organisatorischen Struktur des Projekts und bei den Abwicklungsprozeduren, insbesondere, wenn es zur Vergabe von Grosskomponenten an die Industrie kommt. Diese Forderungen reflektieren bis jetzt die deutsche Position, der auch die Franzosen zuneigen. Aber noch ist kein Konsens mit den übrigen europäischen Partnern hergestellt - und überdies muss das Gesamtpaket am Ende auch noch vom Europäischen Parlament beschlossen werden, was kein Selbstgänger sein dürfte.

Personelle Veränderungen

Eine wichtige organisatorische Massnahme wurde bei ITER bereits vollzogen: der japanische Generaldirektor Kaname Ikeda und sein deutscher Stellvertreter Norbert Holtkamp wurden gefeuert und durch Osamu Motojima, ebenfalls einen Japaner, ersetzt. Natürlich vollzog sich dieses Revirement nach aussen hin nicht so brachial, sondern unter allerlei Lobsprüchen ("erste Phase des Projekts erreicht" etc. etc.) Die Geschassten werden auch nicht Hartz IV zur Last fallen, vielmehr geht Ikeda in den diplomatischen Dienst zurück, dem er entstammt - zuletzt war er japanischer Botschafter in Kroatien - und Holtkamp darf zukünftig die Beschleuniger der amerikanischen Universität Stanford in Schwung halten.

Der neue Generaldirektor bei ITER: Osamu Motojima

Ikeda war von anfang an eine Fehlbesetzung. Er strahlte das typische Charisma japanischer Politiker aus und seine holprigen, in broken-english vorgetragenen Projektpräsentationen verursachten beim Fachpublikum stets nur heftiges Bauchgrimmen. Wegen seiner fachlichen Defizite wurde ihm auch der Deutsche Norbert Holtkamp zur Seite gestellt, was die französische Zeitung La Provence bei seinem Antritt (nach Ikeda) zu der kecken Phrase veranlasste: "Nun ist der wahre Chef angekommen". Der neue Generaldirektor Motojima wollte diesem Gesichtsverlust entgehen und da er selbst aus einem Fusionslabor entstammt, "verzichtete" auf die Dienste eines Stellvertreters. (Eventuell richtet er ein niederrangiges Direktorium ein). Deutschland verliert mit dem stellvertretenden Generaldirektor einen Top-Posten, aber in manchen politischen Kreisen wird dies noch nicht einmal ungern gesehen, weil man dann bei weiteren (absehbaren) Kostenerhöhungen und Terminverzögerungen umso ungenierter auf das operative Management eindreschen kann.

Dubiose Vergabepraxis

Unter Beschuss steht auch die Organisationseinheit zur Vergabe der ITER-Aufträge innerhalb der EU. Sie heisst Fusion for Energy, abgekürzt F4E und ist im schönen Barcelona angesiedelt. Dort umfasst sie stattliche 200 Mann und es scheint, als würden die spanische und die italienische Industrie den maximalen Nutzen aus dieser ortsansässigen Einkaufsabteilung ziehen. Mittlerweile wurden zwei Grossaufträge vergeben, die beide an spanische und italienische Firmen gingen; die mitbietenden deutschen Unternehmen, weltweit bekannt, kamen nicht zum Zuge.

Viel böses Blut entstand bei der Vergabe der Wicklungen für die Toroidalfeldspulen, die einen Auftragswert von ca. 150 Millionen Euro besassen. Die deutsche Firma Babcock Noell hatte zwar das billigste Angebot vorgelegt, der Auftrag ging jedoch an den spanischen Wettbewerber Iberdrola, einem EVU(!) mit italienischen Partnern. Aus "formalen Gründen" wurde Babcock Noell nicht berücksichtigt, fühlte sich demzufolge "ausgetrickst" und zog mit einer Klage vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Auch dort scheiterte die deutsche Firma mit der seltsamen Begründung, dass "zur reibungslosen Abwicklung des Projekts das öffentliche Interesse den Vorrang vor dem privaten" haben müsse. Diese Auftragsvergabe hatte Ministerin Schavan wohl im Visier, als sie bei den internen deutschen Gesprächen im Sommer die "Verbesserung" der industriellen Vergabeprozeduren bei Grossaufträgen anmahnte.

Aber mittlerweile kam es noch schlimmer. Vor wenigen Tagen wurde in Barcelona das hochwichtige Vakuumsystem des ITER vergeben, wiederum ein Auftrag im Wert von mehreren hundert Millionen Euro. Und wiederum fiel Deutschland durch. Geboten hatte deutscherseits die Weltfirma MAN, der Auftrag ging jedoch an das italienische Unternehmen Ansaldo mit weiteren italienischen Partnern, die zu einem erheblich niedrigerem Preis angeboten hatten. Bemerkenswert dabei ist die Tatsache, dass MAN einen vergleichbaren Auftrag für Wendelstein 7X kürzlich erfolgreich abgewickelt hat, während Ansaldo keine ähnliche Referenz vorzuweisen hat.

Das Vakuumgefäss des ITER mit 7 Kammern

Vergleicht man die jahrzehntelangen deutschen Forschungsanstrengungen auf dem Gebiet der Fusion - etwa im Forschungszentrum Karlsruhe - mit ihrem finanziellen Return, so ist dieser mehr als bescheiden. Es scheint so, als würden die Deutschen für sündhaft viel Geld die neuen Technologien entwickeln, während die Anderen damit Business machen und die geschäftlichen Gewinne einstreichen.

Eben der Club Mediterranee.

1 Kommentar:

  1. Kein Wunder, dass kein Mensch je von einem Willy Marth gehoert hat. Wer so rumblaeht und ohne die einfachsten Grundkenntnisse ablaestert - den braucht man einfach nicht zu kennen.

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